Innovationen bei der Versorgung komplexer enterokutaner Fisteln:
Kann ein kleines Landkrankenhaus die für die Behandlung einer Abdomenfistel die erforderliche Versorgung leisten?
Sharryn Cook – klinische Wund- und Stomatherapeutin
Shirley Roberts – klinische Pflegekoordinatorin, Wairau Hospital, Blenheim Nelson Marlborough DHB
Einleitung
Eine enterokutane Fistel (ECF) ist eine Fistel, bei der eine abnorme Verbindung zwischen dem Darm und der Haut besteht. Bei enteroatmosphärischen Fisteln (EAF) handelt es sich um eine kleine, aber bedenkliche, Untergruppe der ECF, bei der der Darm zur Hautoberfläche wandert und von außen sichtbar ist. Aufgrund des ständigen Durchflusses von Darminhalt tritt diese gefürchtete Komplikation vor allem im Bereich des Duodenums, des Jejunums und des proximalen Ileums auf.
Die Entfernung vom Eintritt in den Gastrointerstinaltrakt bis zum anatomischen Austrittspunkt im Darm bestimmt die Ausscheidungsmenge. Diese Information ist zwingend erforderlich, um Pflegeziele für die erfolgreiche Behandlung festzulegen.
Zu den größten Herausforderungen und ressourcenaufwändigsten Aspekten der Fistelversorgung zählt die lokale Kontrolle des Ausflusses.1 Die Unfähigkeit, Fistelausscheidungen aufzufangen, führt zu signifikanter Morbidität bei den Patienten. Diese umfasst feuchtigkeitsbedingte Hautschädigungen (Moisture Asssociated Skin Damage), unvorhersehbare Leckagen, die die Lebensqualität beeinträchtigen, Schmerzen und längere Krankenhausaufenthalte. Ziel der Fistelversorgung ist die Entwicklung und Umsetzung eines Pflegeplans zusammen mit dem Patienten und seiner Familie, um folgende Ziele zu erreichen:
- Verhinderung einer Hautschädigung.
- Auffangen des Darminhaltes.
- Komfort für den Patienten.
- Optimierung des körperlichen und psychischen Zustands vor einer Operation oder einem spontanen Verschluss.
In diesem Fallbericht geht es um die Erfahrungen von Ray und seiner Frau Pat mit der Behandlung einer Fistel. Aufgrund der ständig wechselnden Herausforderungen, die die Fistelversorgung mit sich bringt, ist es unwahrscheinlich, dass die gleiche Strategie für die gesamte Dauer der Versorgung erfolgreich sein wird. In diesem Artikel werden eine innovative Strategie zum Auffangen des Ausflusses sowie die Vorteile einer des Chymus Reinfusions System in der Fistelversorgung vorgestellt.
Haftungsausschluss: Die in diesem Artikel dargelegten Meinungen und Vorgehensweisen entsprechen nur unsere eigenen persönlichen Erfahrung.
Vertraulichkeit: Die Personen, deren Versorgung in diesem Artikel beschrieben wird, haben der Nennung ihrer personenbezogenen Daten zugestimmt. Die Namen wurden abgeändert.
Darmfistel
Faktoren, die zum Entstehen einer Darmfistel beitragen können, umfassen:
- Tumore.
- Entzündliche Darmerkrankungen und insbesondere Morbus Crohn.
- Kunststoffnetz-Einlage.
- Strahlenenteritis.
- Divertikulitis, insbesondere mit Abszessbildung und Perforation.
- Latrogene Verletzung bei der Operation.
- Anastomoseninsuffizienz.
Wer sind Ray und Pat?
Ray ist 73 Jahre alt, stammt von der Westküste und ist Milchbauer im Ruhestand. Er war Hofeigentümer und hat fast sein gesamtes Arbeitsleben lang auf Bauernhöfen gearbeitet. Ray hat 4 Kinder und erhielt durch die Heirat mit Pat 1992 noch 2 Stiefkinder dazu. Ray und Pat leben nun in der Nähe des kleinen Landkrankenhauses, in dem Rays Versorgung erfolgt.
Krankengeschichte
Ray stellte sich mit veränderten Stuhlgewohnheiten vor. Im Rahmen einer Koloskopie bestätigte sich ein Rektumkarzinom. Es wurden auch mehrere Polypen gefunden und biopsiert, die jedoch nicht kanzerös waren. Nach einer Langzeit-Chemoradiotherapie wurden mit Ray und Pat die mit einer tiefen anterioren Rektumresektion und die mit einer abdominoperinealen Rektumresektion (APR) verbundenen Risiken und Komplikationen besprochen. Ray und Pat waren der Ansicht, dass Rays Lebensqualität mit einer AP-Resektion und einem dauerhaften endständigen Kolostoma besser sein würde.
Operation
- Elektive AP-Resektion.
- Postoperativer Ileus.
- Totale parenterale Ernährung.
- Wunddehiszenz der abdominalen und der perinealen Wunden.
- Dünndarmfistel.
Bis zum 12. postoperativen Tag war es zur Dehiszenz der abdominalen Laparotomie- und der perinealen Wunde gekommen, das Kolostoma war dunkel verfärbt. Im oberen Bereich der Wunde befanden sich zwei enterokutane Fisteln, aus denen Darmausscheidungen austraten. (Siehe Abb. 1 und 2) Mithilfe eines eakin Woundpouches™ konnte die Versorgung gewährleistet werden.
Abbildung 1: Tag 12 Wunddehiszenz
Abbildung 2: Tag 23 Weitere Dehiszenz
Verwendete Produkte und Gründe für die Auswahl von eakin Cohesive® Hautschutzringen und Hautschutzplatten (ABB. 1)
Eine der wichtigsten Grundlagen der Fistelversorgung ist der Hautschutz. Im Fall von Ray wurde die Wunde mit eakin Cohesive® Hautschutzplatten und eakin Cohesive® Hautschutzringen versorgt. In der sehr feuchten Umgebung einer Fistel brauchten wir den Hautschutzring mit der höchsten verfügbaren Absorptionsfähigkeit. Mit einer Absorptionsfähigkeit von 4 g pro Gramm des Hautschutzrings fiel die Wahl auf das eakin Cohesive® Sortiment. Durch die die Absorption der Ausscheidungen in den Cohesive® Hautschutzring wird die Haut vor errosiven Enzymen geschützt. Dieser Wirkmechanismus hilft dabei, den pH-Wert der Haut wieder auf seinen normalen leicht sauren Wert zu bringen. Die eakin Cohesive® Hautschutzringe sind sehr gut modellierbar und gleichen jegliche Hautunebenheiten in der Bauchdecke aus.
eakin Woundpouches™
Das Wund- und Fistelbeutelsortiment von eakin® bot uns alle Eigenschaften des eakin Cohesive® Hautschutzes sowie 15 verschiedene Beutelgrößen, aus denen die für Rays Bedarf passende Größe ausgewählt werden konnte. Als der Heilungsprozess einsetzte, waren verschiedene Größen erforderlich. Die Möglichkeit, ein Behandlungsfenster in den eakin Woundpouch™ einzusetzen, wurde zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls wichtig.
Bis zum 46. postoperativen Tag erhielt Ray eine parenterale Ernährung. Seine Wunddeshizenz verschlimmerte sich und ging nun über die gesamte Länge seiner Laparatomiewunde. Der untere Wundbereich war von Biofilm und Hypergranulationsbereichen bedeckt und die Wundheilung schien zum Stillstand gekommen zu sein. Der neue Dehiszenzbereich war ungefähr 2 cm tief und es war eine enterokutane Fistel sichtbar. Die distale Seite der Fistel war zu diesem Zeitpunkt nicht zu sehen. Ray litt phasenweise am Durchgangssyndrom und die Fistelversorgung wurde problematischer.
Vakuumtherapie und Fistelseparation
Mit dem Ziel, die Wundheilung wieder in Gang zu bringen, zogen wir eine Vakuumtherapie mit Separation der Fistel durch den Schwamm in Erwägung. Da Vakuumtherapien bei der Versorgung chronischer oder akuter Wunden mittlerweile sehr verbreitet sind, überrascht es nicht, dass sie auch als Option für die Fistelversorgung ins Spiel kommen1.
Ziele der Vakuumtherapie waren:
- Herstellen eines geschlossenen, feuchten Wundheilungsmilieus mit Schutz vor einer Sekundärinfektion.
- Verkleinerung des Wundödems.
- Entfernung von Exsudat und Biofilm sowie Vermeidung von Hypergranulation.
- Förderung von Zellreplikation und Granulation.
- Annäherung der Wundränder, sodass die Wunde in einem zweiten Schritt heilen kann.
- Effektiver Schutz der umgebenden Hautränder.
- Sicherheit durch vorhersagbare Tragezeiten und seltenere Versorgungswechse.
Eine professionelle Versorgung zeichnet sich dadurch aus, dass, die eigenen Grenzen erkannt werden. Da wir noch nie eine Vakuumtherapie bei einer Wunde mit Fistel durchgeführt oder eine Fistel separiert hatten, wendeten wir uns an den Aussendienst unseres Versorgers und baten um Unterstützung.
Abbildung 3A
Abbildung 3B
Abbildung 3C
Abbildungen 3A, 3B, 3C: Fistelseparation mit Babysauger und Vakuumtherapie
Abbildung 4: Vakuumtherapie
Abbildung 5: Verkleinerung nach einer Woche Vakuumtherapie
The Insides System: Ein Medizinprodukt zur Chymus-Reinfusion
Die beiden wichtigsten Elemente bei der Vorbereitung auf einen definitiven operativen Fistelverschluss sind die Ernährungsunterstützung und das Management des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts. Obgleich die enterale Ernährung mit deutlich weniger Risiken einhergeht als die parenterale Ernährung, unterliegt die enterale Ernährung folgenden Einschränkungen:
- Verstopfung.
- Strahlenschäden.
- Entzündung.
- Stenosen.
- Kurzdarmsyndrom.
- Hohe Fistel4.
Die parenterale Ernährung ist häufig der wichtigste Pfeiler bei der Ernährungsunterstützung für Patienten mit einer ECT. Dies kann lange Krankenhausaufenthalte zwingend erforderlich machen. Es gibt auch anerkannte negative psychische Folgen von langen, Phasen paenteraler Ernährung. Ziele der Chymus-Reinfusion waren:
- Frühere Rückkehr zur enteralen Ernährung.
- Bessere Ernährungsergebnisse.
- Verbesserte Wundheilung.
- Wiederherstellung der Darmfunktion und Vorbeugung einer Dehydrierung.
- Geringeres Risiko einer Nieren- und Leberfunktionsstörung.
- Möglicherweise Erleichterung von Krankenhausurlauben oder sogar einer Entlassung.
Da der distale Teil der Fistel nun sichtbar war, wurde Ray als ein Kandidat für eine Reinfusion mittels Insides™ -Reinfusions-System eingestuft. Mithilfe einer CT wurde bestätigt, dass es bei Ray keine distalen Obstruktionen oder Enterotomien gab und dass die Darmlänge ausreichte, um eine erfolgreiche Reinfusion durchzuführen. Erneut war uns bewusst, dass wir dies noch nie zuvor gemacht hatten, sodass wir uns an das therapeutische Team von The Insides™ Company wandten, das Rays Fall prüfte und die Reinfusion einleitete.
Zentrale Eigenschaften der Insides™-Reinfusions-Systems
- Die 3 Komponenten des Systems sind, die Steuerung, die Sonde und die Pumpe. The Insides System ermöglicht die Chymus-Reinfusion als Bolus.
- Es handelt sich um ein geschlossenes System, bei dem eine Reinfusion möglich ist, ohne den Stomabeutel entfernen zu müssen. Die Sonde wird von einer Fachkraft in die distale Öffnung der Fistel eingeführt. Die kleine Pumpe wird am Ende der Sonde befestigt und befindet sich im Chymus und hat Kontakt zur Beutelaussenseite. Die Steuerung ist magnetisch durch den Beutel hindurch mit der Pumpe verbunden, um den Chymus intermittierend die Sonde hoch und in den distalen Darmschenkel zu ‚befördern‘.
- Die Steuerung verfügt über verschiedene Geschwindigkeitseinstellungen für unterschiedliche Viskositätsgrade des Chymus für die Reinfusion. Nach 2 Wochen muss die Batterie der Steuerung gewechselt werden.
- The Insides™ System ist in Neuseeland, dem Vereinigten Königreich und der EU zugelassen und hat von der US-amerikanischen FDA die Breakthrough Devices-Zulassung erhalten
Abbildung 6: Die Insides™-Reinfusionssonde vor Ort umgeben von eakin Cohesive® Hautschutzplatten
Abbildung 7: eakin Woundpouch™ mit Fenster
Die Reinfusion mithilfe der Inside™-Pumpe hat die Pflege von Ray revolutioniert und vereinfacht. Er wird nun normal ernährt und sein Kolostoma ist voll funktionsfähig. Die parenterale Ernährung wurde eingestellt und seine Albuminwerte liegen im normalen Bereich. Er hat angefangen, das Krankenhaus für kurze Phasen zu verlassen.
Kleine Dinge mit großer Wirkung
Das Verhältnis, das sich zwischen dem Patienten mit einer ECF, seiner Familie und dem begleitenden Pflegeteam entwickelt, kann ein entscheidender Faktor für die psychische Belastbarkeit des Patienten sein, um bis zur Genesung durchzuhalten5.
Einige kleine Dinge von unserer Seite bewirkten für Ray eine große Veränderung. Es war zwingend notwendig, dass er und Pat gemeinsam an seiner Pflege beteiligt waren. Dank einem Bett in seinem Zimmer konnte Pat so lange bleiben wie sie wollte, dadurch konnte auch Sie sich zwischendurch erholen und für Ray da sein. Ab und zu durfte Rays kleiner Hund zu Besuch auf die Station kommen. Auf diese Weise wurde Ray in Erinnerung gerufen, dass es ein Leben gab, in das er zurückkehren wollte.
Ray hat einen wunderbar frechen Humor und mit seinen Scherzen und Witzen haben wir viel mit ihm gelacht, wenn er uns Anekdoten aus seiner Jugend erzählt hat. Wenn Ray seine Lieblingsmusik von früher im Radio hörte, hatten wir die Gelegenheit, ein paar Tanzschritte in den Versorgungswechsel einzubauen.
Schlussfolgerung
Es wird oft angenommen, dass eine Wunde nicht heilt, wenn sie Kontakt zu fäkalen Ausscheidungen hat. Unsere Erfahrung in diesem Fallbericht hat uns gezeigt, dass das Gegenteil der Fall ist. Wunden heilen auch bei Kontakt zu fäkalen Ausscheidungen. Die Pflege von Ray bedeutete eine große und zuweilen frustrierende Lernkurve für unser gesamtes Team. Zeitweise haben wir überlegt, ob unser kleines Landkrankenhaus wirklich die Ressourcen für seine Pflege hatte. Trotz dieser Zweifel haben wir uns der Herausforderung gestellt und sind stolz darauf, wie unser kleines Pflegeteam die komplexe Versorgung, die Ray brauchte, auf sich genommen und geschafft hat. Die Behandlung von Ray und Pats ist noch nicht zu Ende, aber wir nehmen aus dieser Erfahrung schon einmal neue Erkenntnisse zur Fistelversorgung mit Fistelseparation mit, neue Möglichkeiten durch die Verwendung von eakin Woundpouches™ und eine neue Erkentnisse für den Unterschied und die Hoffnung die Reinfusion mit der Inside™-Pumpe für die Fistelversorgung ermöglicht.
Referenzen
1. Gribovskaja-Rupp,I. Melton,G. Enterocutaneous fistula: proven strategies and updates. Clinical Colon and Rectal Surgery 2006:29(2)130-137. https://doi,org/10.1055/s-0036-1580732.
2. Lloyd,D. Gabe,S. winsdor,A. Nutritional Management of Enerocutaneous fistula. British Journal of Surgery. 2006:93:1045-1055.
3. Lynch,A. Delaney,C. Senagore,A. Connor,J. Remzi,F. Fazio,V. Clinical outcome and factors predictive of recurrence after enterocutaneous fistula surgery. Annulas of Surgery 2004: Nov 240(5):825-831.
4. Metcalf,C. Considerations for the management of enterocutaneous fistula. Gastrointestinal Nursing 2019:vol 17,No 4: https://www.magonlinelibrary.com/doi/full/10.12968/gasn.2019.17.4.36.
5. Andrews,L. Fathoming Fistulas. NZNO College of Nursing Journal The Outlet. 2013 March:12-15